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Schutz vor bösen Geistern (Fortsetzung)
In der Kirche sollte das Brautpaar dicht nebeneinander stehen, damit sich die bösen Geister nicht dazwischenschieben konnten. Aus dem gleichen Grund stellten sich in früheren Zeiten die Brautführer mit gekreuzten Degen hinter dem Brautpaar auf.
Mit Pistolen- und Böllerschüssen wurden während des Hochzeitszuges die Geister am Wegrand vertrieben, heute ist das Hochzeitsschießen eine Ehrenbezeigung.
Außerdem trieb man auf der Fahrt von der Kirche zum Hochzeitshaus die Pferde zu höchster Eile an. Der Grund: Die Geister am Wegrand sollten keine Gelegenheit bekommen, aufzuspringen.

Über die Türschwelle tragen
In Gefahr war die Braut auch, wenn die Jungvermählten ihr Heim betraten. Denn man wußte seit ewigen Zeiten, daß die unsichtbaren Bösewichter unter der Schwelle des gemeinsamen Hauses scharenweise hockten und auf die junge Braut lauerten. Und bis heute werden sie vom Bräutigam ausgetrickst, indem er seine Braut auf die Arme nimmt und sicher über die Schwelle trägt.

Wegsperre
Mit Vorliebe versperren heute vor allem Kinder dem Brautpaar beim Verlassen der Kirche oder bei Abfahrt des Hochzeitsautos mit einem Seil den Weg und geben ihn erst frei, nachdem sie einige Geldmünzen erhalten haben.
Diese Sperrbräuche waren schon früher in Deutschland weit verbreitet. Heiratete ein Mädchen in ein anderes Dorf, so wurde die Straße mit einem Seil gesperrt, um den Hochzeitszug beim Verlassen des Dorfes aufzuhalten. Erst nachdem der Bräutigam einen Tribut bezahlt hatte, durfte die Hochzeitsgesellschaft weiterziehen.
Außerdem wurde oft der Weg zur Kirche oder zurück zum Hochzeitshaus mit Stangen, Seilen, Ketten, Brettern oder Balken versperrt. Dieser Brauch, auch "„orspannen"“ "„emmen"“oder "„annen"“genannt, symbolisiert den Anfang einer neuen Lebensgemeinschaft; der Bräutigam (manchmal auch das Brautpaar) mußte sich vom Ledigenstand loskaufen.
Verließ ein Mädchen durch ihre Heirat das Dorf, war es üblich, daß sie der Bräutigam aus der Dorfgemeinschaft „freikaufte“. Als Lösegeld wurden neben Geldstücken auch Bier, Wein, Tabak, Krapfen und anderes Gebäck oder Äpfel und Nüsse angenommen.

Gesundheit und Wohlergehen
Damit die Zukunft dem Brautpaar Reichtum und Gesundheit bringe, wird ihm in Italien nach der Trauung Wein und Brot gereicht. Man bewirft die Jungvermählten auch mit Getreidekörnern, auf Sardinien mit Blumen oder Salz. Im Vogtland ist es Brauch, daß das frischvermählte Brautpaar ein Glas Wein austrinkt. Die Braut wirft das leere Glas über die Schulter nach hinten. Zerbricht es, dann wird die Ehe glücklich werden.

Vorrangstellung
Wer einst das Geschehen am Hochzeitstag aufmerksam verfolgte, vermochte anhand von zahlreichen Hinweisen eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Braut oder der Bräutigam das Regiment in der Ehe führen würde. "„err"“im Haus sollte die Braut sein, wenn es ihr auf dem Weg zur Kirche gelang, ihren Zukünftigen kurz auf den Fuß zu treten.
Ganz bestimmt hatte aber der Bräutigam das Sagen, wenn er beim Empfang des Segens auf dem Saum des Hochzeitskleides niederkniete.
Als Braut und Bräutigam noch Handschuhe trugen, achtete man in Franken darauf, wer diese beim wechselseitigen Anstecken der Ringe als erster abstreifte.
Aufschluß über die Vorrangstellung brachte, und bringt vielleicht auch heute noch – das gemeinsame Anschneiden der Hochzeitstorte. Nach dem Volksglauben hatte derjenige das Sagen, dessen Hand dabei obenauf lag.
Im Harz kennt man den Brauch, daß die Jungvermählten vor der Haustüre stehenbleiben und mit der Hand oben an den Türrahmen schlagen. Wer am weitesten nach oben kommt, der hat sich, so heißt es, die Führungsrolle in der Ehe gesichert.

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